Gashahn zudrehen: So einfach kann Russland das nicht machen - FOCUS online

2022-10-22 20:49:33 By : Ms. megan pi

Die Angst ist da, dass Russland uns im Winter kein Gas mehr liefert. Doch dazu müsste es seine Gasfelder in der Barentssee temporär stilllegen. Das ist technisch aufwendig, würde Russland jahrzehntelang schädigen und viel Geld kosten.

Russlands schwerste Waffe gegen den Westen ist sein Erdgas und gerade Deutschland ist dabei verwundbar. Seit Mitte Juni ist die Gasmenge, die durch Nordstream 1 vom russischen Wyborg nach Mecklenburg-Vorpommern fließt, gedrosselt. Nach zehntägiger Wartung ging es jetzt auf 20 Prozent der eigentlichen Kapazität von rund 150 Millionen Kubikmetern am Tag herunter.

Die Angst scheint berechtigt, dass Russland seine Gas-Waffe noch verschärfter einsetzt und spätestens, wenn es bei uns im Winter kalt wird, die Gaslieferungen ganz einstellt. Dann würde es ernst, denn schon jetzt lassen sich die Gasspeicher im Land nicht wie sonst üblich im Sommer mit Reserven auffüllen, die die ganze Heizperiode von Oktober bis März ausreichen würden.

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Die russische Strategie ist leicht auszurechnen. Stehen bei uns die ersten Fabriken wegen Gasmangels still und fangen vielleicht sogar Privathaushalte an zu frieren, soll die öffentliche Stimmung im Land kippen. Russland hätte dann leichtes Spiel, vielfältige Forderungen durchzusetzen, wenn es verspricht, den Gashahn wieder aufzudrehen: ein Ende der Sanktionen, Stopp der politischen und militärischen Unterstützung der Ukraine und so weiter.

Doch fraglich ist, ob hinter der Drohgebärde wirklich mehr steckt. Denn so einfach kann Russland den Gasfluss nach Europa gar nicht stoppen. Das hat rein technische Gründe. Das Gas, das durch Nordstream 1 fließt, stammt hauptsächlich aus Gasfeldern in der nördlichen Barentssee. Die sind direkt an die Pipeline angeschlossen. Soll also kein Gas mehr durch Nordstream fließen, müsste Russland auch die Produktion in seinen Gasfeldern stoppen.

Das ist aber nicht so einfach. „Das zeitweise Abschalten von Öl- oder Gasquellen ist etwas, dass Konzerne um jeden Preis zu verhindern versuchen“, erklärt der kanadische Wissenschaftsjournalist Philippe Gauthier. Der Grund: Unterirdische Gasfelder stehen meist unter großem Druck. Werden sie einmal angezapft, schießt das Gas durch die Bohrungen an die Oberfläche – kontinuierlich.

Der Rohstoff liegt dabei in der Erde wie auch Öl nicht in einem großen Becken, sondern in den Ritzen und Löchern des Gesteins, meistens in Sandgestein. Wurde daraus einige Zeit Gas gefördert, lässt der Druck langsam nach. Bleibt die Pumpkraft durch das Bohrloch aus, sickern Sand, Wasser, andere Kohlenwasserstoffe und lockeres Gestein in das Sandgestein und verstopfen Poren und Adern. Wird das Feld später wieder angezapft, ist die Leistung deswegen meist niedriger, schlimmstenfalls halbiert sich die tägliche Produktion.

Außerdem sind stillgelegte Gasfelder ein Sicherheitsrisiko. Aus dem Gestein können ohne kontrolliertes Abpumpen Gase wie Methan entweichen, entweder an die Oberfläche oder etwa in nahes Grundwasser. Als zu Beginn der Corona-Krise die Ölpreise fielen und viele Fracking-Felder in den USA temporär schlossen, wurden die Reservoirs deswegen teilweise mit Zement versiegelt. Das mindert die später mögliche Produktion. Russische Ingenieure müssten sich solche Maßnahmen überlegen, sollten sie die Gasfelder in der Barentssee abschalten wollen.

In jedem Fall verringert sich nicht nur die Produktion in einem wiedereröffneten Gasfeld, die Neueröffnung kann auch das Equipment empfindlich schädigen. In den Leitungen, mit denen das Gas aus dem Meer an Land geleitet wird, bilden sich Ablagerungen, die die Röhren verstopfen können. „Offshore-Bohrungen wieder zu eröffnen ist so kompliziert, dass es für Konzerne die allerletzte Option ist“, sagt Gauthier. Die Kosten liegen bei bis zu 500.000 Euro pro Bohrung, außerdem sind Spezial-Teams für die Arbeit erforderlich. Ein Gasfeld kann zudem aus hunderten von Bohrlöchern bestehen.

Eine Alternative wäre, das kontinuierlich unter dem Meer entweichende Gas statt durch Nordstream woanders hinzuleiten. Doch auch das ist nicht so einfach. Die Felder in der Barentssee sind nur mit Europa über Pipelines verbunden. China wird über Pipelines von Ostsibirien aus versorgt. Röhren von der Barentssee bis dorthin wären tausende Kilometer lang und müssten über Jahre gebaut werden.

Eine zweite Möglichkeit wäre, dass Russland das Gas verflüssigt und per Tanker an andere Länder liefert, also so, wie wir Gas aus den USA und Katar künftig beziehen wollen. Doch dafür sind spezielle Hafenterminals erforderlich. Russland besitzt zwar ein solches nahe Wyborg, wo auch Nordstream startet, doch der Hafen dort operiert jetzt schon am Limit seiner Kapazität. Kurzfristig lässt er sich bis zum Winter nicht ausbauen – zudem durch westliche Sanktionen dafür wohl auch das Baumaterial fehlen würde.

Eine dritte Möglichkeit wäre, das Gas aus der Barentssee in Gasspeicher in Russland umzuleiten und dort aufzubewahren, bis Europa eingeknickt ist und wieder um russisches Gas bettelt. Doch die russischen Speicherkapazitäten sind begrenzt, zudem füllt Russland seine Speicher wie auch Deutschland für den Winter. Dies würde erst zu einer ernsthaften Option gegen Ende der Heizperiode, also zum Beispiel ab Februar.

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Die letzte Möglichkeit wäre, das Gas an die Oberfläche zu leiten und dort kontrolliert abzubrennen. Solche Anblicke kennen wir etwa aus kuwaitischen Ölquellen während des Irak-Krieges 1991. Es ist ein weltweit häufig genutztes Instrument. Die Weltbank schätzt , dass jedes Jahr 144 Milliarden Kubikmeter Gas einfach abgebrannt werden. Das ist mehr als der anderthalbfache Verbrauch Deutschlands. Allerdings: Sicher abbrennen lassen sich auch nur bestimmte Mengen an Gas. Zudem verursacht das hohe Emissionswerte und nicht zuletzt würde Russland damit sprichwörtlich Geld verbrennen.

Trotz aller technischen Probleme könnte Russland trotzdem Europa den Gashahn komplett zudrehen. Es müsste dann aber hohe finanzielle Kosten für die Abschaltung der Gasfelder und deren spätere Wiedereröffnung, Verluste durch Abbrennen von Milliarden Kubikmetern an Gas und eine langfristige Schädigung seiner Produktion in Kauf nehmen.

Alternativ kann Russland die Produktion auf das technische Minimum reduzieren. Wo das liegt, lässt sich aber schwer definieren, es hängt auch von den Gegebenheiten des jeweiligen Gasfeldes ab. Eine Studie aus den USA definierte das wirtschaftlich sinnvolle Minimum auf 500 Kubikmeter pro Quelle und Tag. In Kanada liegt das gesetzliche Minimum in einigen Provinzen bei 10.000 Kubikmetern am Tag. Die Spanne ist also groß. Bei hunderten Bohrlöchern wie in der Barentssee kann da eine große Menge Gas zu Stande kommen.

Sicher ist nur: Ein kompletter Gas-Stopp von Russland nach Europa würde technisch schwierig und für Russland teuer und aufwendig werden. Er ist deswegen entsprechend unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz kann das Land den jetzigen Gasfluss von 20 Prozent der normalen Kapazität durch Nordstream 1 sicherlich noch weiter drosseln.

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....Unwissenheit und Ignoranz. Wenn die Russen kein Gas mehr liefern wollen...und keine Alternativen Abnehmer mehr haben...dann machen sie es so wie die Scheichs....sie fackeln das lästige Gas einfach ab....so einfach ist das. Wo bitte ist das Problem?

Selten einen solchen Blödsinn gelesen das Gas direkt vom Bohrloch in die Pipelines in andere Länder gepumpt wird. Dazu benötigt man erstmal eine gewaltige Aufbereitungsanlage von wo aus der Gasfluss reguliert werden kann. Russland stehen somit alle Optionen offen. Zudem kann man von einer solchen Aufbereitungsanlage Gas zu den Pumpstationen in die Sammelbehälter und Bohrlöcher zurück pumpen. Nichts ist seitens Russland einfacher uns frieren zu lassen und die Industrie lahm zu legen.

Samstag, 30.07.2022 | 00:26 | Harald Böhm  | 2 Antworten

man kann sehr wohl ohne Probleme wie bei einem Gas-Speicher Gas-Felder einfach abschiebern. Es ist zu empfehlen, sich da mal etwas tiefer damit zu befassen. Und an Russlands Stelle würde ich nach den Aussagen der deutschen Außenministerin und des deutschen Wirtschaftsministers ohne Einwände des Kanzlers das Gas sofort abstellen und genüsslich ansehen, was mit dem Land passiert. Das einzige, warum Russland dies nicht tut, dass dies der USA in die Karten spielen würde, mit Deutschland einen unbequemen Konkurrenten los zu werden. Nur dies schützt Deutschland vor der endgültigen Katastrophe. Jetzt kann sich jeder selbst Gedanken dazu machen, ob unser Feind im Osten oder Westen sitzt.

Mit ihrer Vermutung, dass ein wirtschaftlich starkes Deutschland oder womöglich eine starke EU keine Freude im weißen Haus auslöst, könnten Sie Recht haben. Bei einem militärischen Eingreifen Chinas in Taiwan würde Washington vermutlich sogar den Abbruch der deutschen Handelsbeziehungen nach China verlangen. Dann wären wir restlos erledigt.

hat angeboten Nord Stream 2 zu öffnen...Es wird der Eindruck vermittelt, Putin hat einen Gashahn neben seinen Schreibtisch und dreht ihn beliebig auf und zu! Wer soll das glauben, die Gasknappheit ist von der deutschen Politik erwünscht und wird ja quasi, jeden Tag ums neue, erbettelt!

Freitag, 29.07.2022 | 20:58 | krefting Ralf walter  | 1 Antwort

Die bauen mal schnell in 2Wochen eine Gaspipeline nach China,was hier für Experten am Wer sind ,da fehlt mir nichts mehr ein , für sowas braucht es Material und das kommt aus EU und USA ,warum haben die Wohl so einen Aufstand gemacht wegen der Gasturbine ?

wenn China einfach Mal eben ne Millionen Arbeiter schickt und die Pipeline von China aus in 2 Wochen nach Russland baut.

Freitag, 29.07.2022 | 20:35 | Ernst Zaugg  | 1 Antwort

Hört mit den erpresserischen Sanktionen auf... Russland ist im Energie liefern am längeren Hebel und steckt die Sanktionen weg weil es auf der Welt noch andere Länder als Deutschland und die USA gibt. Darum runter vom hohen Ross oder B..bock... Verhandlungen mit Russland sind angesagt.. dann friert niemand

Erpresserische Sanktionen gegen Russland!? Was für ein Verständnis muss man haben, um das so zu sehen? Ist es Ihnen lieber wenn die Ukraine ausgelöscht wird, damit Sie einen warmen…..haben!? Dafür ist Ihnen jedes Mittel recht? Dann sind Sie pathogen egoistisch veranlagt und man braucht von Ihnen keine Hilfe erwarten!

Freitag, 29.07.2022 | 18:48 | Seifert Rolf  | 1 Antwort

Russland muss niemals das Gasfeld stillen, auch wenn es nur an einer Pipeline hängt. Die Russen werden immer Abnehmer für ihr günstiges Gas finden und auch eine technische Lösung dafür haben. So könnten sie das Gas komprimieren und als Flüssiggas transportieren, so wie es die Amis auch tun. Also immer schön realistisch bleiben, denn so dumm sind die Russen auch nicht.

Es gibt nur ein bereits ausgelastet es Verflüssigungsterminal in der Nähe, daher können sie nicht beliebig verflüssigen.

Ich halte das für baren Unsinn: Das An- / Auströmen von Erdgas oder Erdöl aus den Reservoirs erniedrigt den Systemdruck dort so gut NICHT - genauso wie in den Erdgas-"Speichern" in DEU Also ist die Schlussfolderung des "Writschaftsjounalisten" Quatsch.

Freitag, 29.07.2022 | 17:17 | Andy Her  | 2 Antworten

Die zu sozialistischen Zeiten gebaute Druschbatrasse funktioniert seit 35 Jahren ohne westliche Technik. Die genannte Abhängigkeit von westlichen Turbinen ist ein Wunschtraum. Es geht auch ohne, eben nur nicht sofort

Sogar die Rohre dafür kamen größtenteils aus dem Westen. Dazu Amischweißtechnik. Demag- und Komatsu- oder Fiat-kräne sieht man auf zeitgenössischen Fotos.

Freitag, 29.07.2022 | 16:57 | Jupp Zupp  | 2 Antworten

Wenn Herr Putin Probleme bekommt, wenn er gar nichts mehr liefern kann, dann hopp, hopp, Atomkraftwerke hochfahren und nix mehr abnehmen. Ich würde Russland in jeder Beziehung ab jetzt komplett ignorieren, so eine Regierung bedarf keiner Beachtung mehr …

In der Kaufhalle liegt Russisch Brot und im TV werden weiter russische Filme gezeigt. Und Vodka selber machen können die hier lebenden russichstämmigen bestens.

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